Der vierte Tag

Das zwanzigste Jahrhundert war eines der Zerstörung. Das einundzwanzigste Jahrhundert begann nicht wesentlich friedlicher. Hängt der Begriff der Schöpfung heute (oder auch immer) mit der Tatsache von Zerstörung zusammen? Ist also die Apokalypse die andere Seite der Genesis nicht nur angesichts atomarer Katastrophen, Kriegen und Vernichtung?

27 Gedanken zu „Der vierte Tag

  1. Die Verse Nietzsches „Wer das verlor,/was du verlorst, macht nirgends halt …“ schienen mir stets prophetisch auf das zwanzigste Jahrhundert zu passen, das tatsächlich nirgendwo haltmachte.
    „ Hängt der Begriff der Schöpfung heute (oder auch immer) mit der Tatsache von Zerstörung zusammen?“ Diese Dialektik drängt sich einem auf, wobei beide Begriffe ganz unterschiedlich konnotiert sind und man pauschal Schöpfung bejahen, Zerstörung vermeiden möchte. Worin ein Trugschluß liegen mag. – Dies aktuell auch insofern, als daß mir eine politische Tendenz absehbar scheint, von Staats wegen die Illusion erwecken zu wollen, Unheil sei abwendbar – durch Inklusion, Antidiskriminierungsgesetze, Abitur per Dekret, politische Bildung als politische Warnung und Verbesserei des Menschen, dem man mit seinem mephistophelischen Erbteil gleich noch die letzten Reste Leidenschaftlichkeit aberzieht.
    Offenbar ist’s verkürzend, wenn die Schöpfung pauschal als das Gute und Gesunde, die Zerstörung als das Böse und Pathologische gelten soll. Gestern las ich, angeregt durch ein SZ-Interview mit Robert Pfaller, Bernard de Mandevilles Bienenfabel. Verkürzt: Private vice is public benefit. – Und die von Dir angesprochene Apokalypse ist – dem Wort nach – die große Enthüllung, die „Offenbarung“ des Eigentlichen.

    • Sind wir nicht immer sehr voreilig mit dem Begrif „Apokalypse“ zurhand, indes die Erfahrung doch zeigt, daß es ein „größtes geschehenes Unheil“ offenbar nicht gibt, sondern immer ein noch größeres, aber genau so menschlicher Fortschritt sich denken läßt – wobei ich allein des mythischen Zuammenhangs wegen den Begriff „Unheil“ verwende; in einer kleine, „Die Unheil“ benannten phantastischen Erzählung habe ich das mal zu fassen versucht. Der pragmatisch angemessene Begriff, der sich dem Apokalpytischen dann faktisch entzieht, ist der der Katastrophe, unter die ich sowohl „selbstgemachte“ als auch natürliche Katastrophen befasse. Etwas Mythisches bekommt dieser – politisch aufklärerische, weil nach Interessen guckende – Begriff aber wieder dann, wenn man den Folgen notwendige Gründe vorhergehen sieht, d.h. n i c h t von irgend einer Überinstanz, etwa Göttern, initiierte annimmt und auch nicht dem Mythos „Zufall“ anhängt, sondern kalt nach der Einsicht, daß aus einem bestimmten Bündel von Vorhergehendem Bündel von Nachgehendem notwendig folgen.Da wir nicht alle Gründe kennen können, können wir auch die Folgen nicht mit der nötigen Wahrheitsfunktionalität erkennen; um das zu umgehen, entstehen dann mythische Erzählungen. So etwas wie eine Apokalypse – die ja den Untergang der gesamten Welt meint – hat es de facto bisher nicht gegeben, sondern immer „nur“ die Angst vor ihr und die Berufung auf sie. Selbst dem furchtbarsten Völkermord ist immer noch ein menschliches Wiederaufleben gefolgt, ja immer gingen ihm andere menschliche Entwicklungen, anderswo, parallel. Adornos Verdikt, demzufolge man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne, zeigt sehr genau die Hilflosigkeit apokalypischer Beschwörungen an, die immer irgendwie mit einer teleologische Geschichtsauffassung, also bestimmt religiös, verknüpft sind. Denn tatsächlich wurde auch nach Auschwitz – und zeitgleich mit Auschwitz – geliebt. Und es wurden nächste Kinder geboren, die ihrerseits voller Hoffnungen waren und sind. (Ich erlebe das als beglückend, daß offenbar k e i n e Katastrope uns an dem Versuch hindern kann, weiteren Katastrophen entgegenzuwirken.)
      Die menschliche Entwicklung kennt furchtbare Rückschläge, aber sie hört nicht auf. Jedenfalls nicht, bevor sich die Sonne, aus kosmologischen Gründen, lebensvernichtend ausdehnen wird – in einer Zukunft, deren zeitliche Entfernung sich niemand von uns vorstellen kann; ebenso wenig können wir uns vorstellen, ob wir bis dahin nicht doch bereits andere Planeten besiedelt haben werden und also dort dann – wider sogar d i e s e „Apokalypse“ – weiterleben werden.

      • So mag es scheinen, wenn man es aus der Sicht der Überlebenden betrachtet. Die in der Katastrophe ausgelöschten haben kein danach. Für sie ist sozusagen die ganze Welt untergegangen.
        Aber abgesehen davon wird die Drohung mit der Apokalypse als Herrschaftsinstrument ge- oder missbraucht. Und mir scheint, von Anfang an. Als Instrument zur Betonierung der Verhältnisse.

        vom Ausbleiben der Apokalypse

        http://postkultur.wordpress.com/2011/05/12/kern-der-aufklarung/

    • Daß es für die Toten kein – jedenfalls uns bekanntes, bzw. „sicheres“ – Danach gibt, gilt aber nicht nur für die Opfer der Katastrophen, sondern für den Tod eines jeden sich des Todes bewußten Geschöpfs; das „Hinterbliebenen“-Argument gilt schlichtweg für jeden Menschen. Und jeder Mensch „danach“ hat, insofern sich von einem Lebensrecht tatsächlich und insgesamt sprechen läßt, ein Recht auf Leben, und zwar auch auf ein glückliches. (Wir kommen hier in die Schuld- und Nachschulddebatte, die besonders in Deutschland immer wieder neu geführt wird und die ich rigoros abschlägig beantworte: etwa hat mein heute dreizehnjähriger Sohn keine Schuld an den Greueln des Nationalsozialismus, und es ist ein unmenschliches Unfrecht, ihn für diese Greuel in auch nur irgend einer Weise zur Verantwortung zu ziehen. Das gilt für a l l e Nachgeborenen jedweder Katastrophe. Ob sie geschehene Greuel als eine persönliche Verpflichtung erleben, ist ihre rein eigene moralische Entscheidung; es zu verlangen, ist ein letztlich tatsächlich religiös verankerter Übergriff, der das Ausmaß eines neuen Mißbrauchs annehmen kann und auch bisweilen angenommen hat.)

      • das sehe ich sicher ähnlich. es gibt gewiss keine erbschuld, oder sollte sie nicht geben, aber es gibt etwas wie eine übertragene verantwortung, die sich aus dem wissen um die geschichte speist. und eben aus der vorstellung der autonomie des einzelnen. eine autonomie, die ich ja nur einklagen kann, wenn ich sie auch gewähre. und für andere auch fordere. also bedingungen der möglichkeit zur selbstbestimmung setze und umsetze. zum einen. und mitleid wäre noch eine andere frage. gewissermassen eine systematische komponente zur historischen dimension. jenseits eines schulddiskurses.

  2. „Wenn uns nun die Eschatologie beim ersten Wort überrascht, beim ersten wie beim letzten, dass immer das vorletzte ist, was sollen wir da sagen? Was nun?“ Derrida: Apokalypse. Wien 2012. Seite 49
    oder:
    „Ist nicht, so fragte ich, die Stimme der Sprache immer die des letzten Menschen?“ a.a.O Seite 48

    • Sicherlich kann man denken – und so tue ich -, dass man diese Entmysifizierung so weit wie möglich treiben muss, aber die Aufgabe ist nicht einfach. Sie ist endlos … (J. Derrida: Apokalypse)

      das bier im eisfach.
      in flaschenform,
      daneben scherben.

      1

      eine wolke in form deiner tante

      2

      etwas fehlt

      3

      derridalektüre, der nebel
      aber bleibt

      4

      der nachbar, die tür
      steht lange offen

      5

      mutter.
      JETZT HÖR ABER AUF!

      7

      noch nicht.

      8

      eine zahl, die liegt.

      postapokalyptisch oder wer fehlt?

      drei gehen
      die zügel noch in der hand

      • Der Begriff Apokalypse wird hier mit Katastrophe gleichgesetzt, was ja immer wieder ein Irrtum und begrifflich falsch übersetzt wird. Bitte an den Verfasser dieses Blogs, etwas besser anzumoderieren. Schrecken und Kriege und Katastrophen sind nicht die Apokalypse.

      • da haben sie recht. aber apokalypse bedeutet das ende der geschichte. vielleicht wäre das ja ein geganstand einer weiteren aktion zu esschatologie und apokalyptik am beginn des 21. jahrhunderts. gerade lese ich neben dem buch von derrida das buch von jacob taubes „Abendländische Eschatologie“. „Zeit heißt Frist“, schreibt taubes, ein gedanke, der in heiner müllers gedicht „Herzkranzgefäß“ als vers auftaucht.

  3. Vielleicht ist Zerstörung, sind Krankheit, Krieg, Naturkatastrophen Mittel der Läuterung, dadurch nicht als per se „gut“ und eventuelle Verursacher sowie Beteiligte nicht ihrer Verantwortung zu entheben und von Strafverfolgung zu befreien, aber eben doch notwendig oder zumindest dienlich, auf ihre Weise die/ eine Schöpfung unterstützend, vorantreibend. Kann es Katharsis geben ohne Erschütterungen irgendwelcher Art?
    Und ist das nicht „schon immer“ so und nicht erst ein Phänomen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts?

  4. Sie meinen aber nicht das Ausschwitz notwenig war? Oder der Erste und der Zweite Weltkrieg? Hoffentlich meinen Sie das nicht, ansonsten….na ja, sind Sie kein Menschenfreund

    • Notwendig? Von welcher Perspektive aus betrachtet?
      Nein! Natürlich wünschte ich, es hätte solche Dinge nie gegeben und würde sie auch in Zukunft nicht geben. Ich wünsche sie niemandem, mir nicht und keinem anderen. Nur ist es ja mit Wünschen nicht getan. Ich wünsche mir auch den Weltfrieden. Leider gibt es ihn aber nicht geschenkt. Es hat mit Verantwortung zu tun. Für alles gibt es Verantwortliche. Und zwar einzeln Verantwortliche. Und solche, die die Konsequenzen zu tragen haben. Manchmal sind beide identisch, meistens nicht, jedenfalls nicht in der Art der zu tragenden Konsequenzen.
      Und was meinen Sie mit Menschenfreund? Es ist ja nicht so, dass nur Opfer Menschen sind, auch Täter sind Menschen. Meinen Sie, auch deren Freund? Für mich würde ich diese Frage gerne mit Ja beantworten können, aber das risse ein neues sehr komplexes Thema an.

      • Ich bin lieber bei den Opfern, als mir nur auch bloß eine sekunde vorzustellen für was so ein Genozid gut sein soll, für was ein Krieg gut sein soll.
        Für was war die ethnische säuberung im ehemaligen Jugoslawien gut, hat sie etwas verändert? Oh ja das hat sie, sie hat Menschen hinterlassen. Menschen die nicht mehr was das sein soll, Zukunft, die Angst haben.
        Verantwortung ist ein feines Wort, gab es keine Versuche Hitler aufzuhalten? Oh doch die gab es. Gab es keine Versuche den ersten Weltkrieg aufzuhalten? Lesen Sie einmal die Texte von Rosa Luxemburg, von Erich Mühsam, Ernst Toller.
        Aber kann man etwas tun, gegen Panzer, Generäe, gegen die Macht von Mittelstreckenraketen?
        Man kann höchstens fliehen und wenn man Glück hat, gelingt die Flucht?
        Warum taten die Afrikaner nichts, als man ihren Kontinent besudelte mit weißer Arroganz, mit weißer „Demokratie“, mit einem weißen Missionar, der seine Weisheiten auf die Leute pulverte?
        Sie konnten nichts machen, denn die Pfaffen kamen nicht alleine, da waren Soldaten mit Waffen, die ein bißchen mehr töten konnten als ein Pfeil.
        Das alles ist kein natürlicher Zustand, das ist nichts womit man sich abfinden sollte, es sei denn mal will Teil des Gehorsams sein.

  5. @Anonym Ja! Ich stimme Ihnen vollkommen zu!
    Ein wenig befürchte ich, mich um Kopf und Kragen zu reden, wenn ich genauer zu erklären versuche, aber ich möchte es trotzdem tun:
    (Moment, ich brauche dafür ein bisschen.)

  6. ich denke, dass es an uns ist, um unserer selbst willen, den opfern von verfolgung und mord einen namen, eine stimme und ein gesicht zu geben.
    Trude Krakauer musste wien 1938 verlassen. sie starb anfang der neunziger im kolumbianischen exil. jüngst erschien im verlag der Theodor Kramer Gesellschaft in der reihe Nadelstiche ein buch mit ihren gedichten, dem das folgende entnommen ist:

    Lichten Traum

    LICHTEN Traum. ihr alten Optimisten
    Immer wußtet ihr ihn zu bewahren,
    Kolumbien verlaßt ihr mit Koffern und Kisten,
    Hofft, ihr werdet in der Heimat nisten,
    Tröstlich winkt sie nach den Trennungsjahren,
    Elend, wißt ihr, werdet ihr dort finden,
    Not, ihr wollt sie kämpfend überwinden;
    BERG und Tal sind noch die sie waren …
    Eilt es Euch? – Wir lassen euch schon gehen,,
    Reicht die Hand uns, – mögt ihr glücklich fahren!
    Gute Reise und Auf Wiedersehen!

    Bogotá, 5. Februar 1948
    In: Trude Krakauer: Niewiederland. Wien 2013

  7. @Anonym Ein Erklärungsversuch:

    Wie gesagt, ich stimme Ihnen vollkommen zu.
    Krieg ist grausam, durch nichts zu rechtfertigen. Menschen zu unterdrücken, zu zwingen, zu misshandeln, all das ist absolut zu verurteilen.
    Und ich heiße nichts davon gut!
    Menschen, die Kriege anzetteln, befehlen und ausführen, gehören bestraft. Jeder Täter, jede Straftat gehört verfolgt.
    Opfern muss zu Würdigung und Recht verholfen werden, und in allererster Linie zu einer Stimme.
    Und natürlich sollte man, sollten wir uns nicht abfinden!

    Und ja, solche schrecklichen Dinge geschehen, seit es Menschen gibt und anscheinend lernen wir nichts daraus. Aber stimmt das? Lernen wir wirklich nichts? Ich habe den Wunsch und die leise Hoffnung, dass wir irgendwie doch klüger werden und mitfühlender. Viel zu langsam vielleicht, um dies innerhalb eines einzigen Menschenlebens wahrzunehmen. Und sowieso viel, viel zu langsam für jeden einzelnen Betroffenen, oft zu spät. Aber es gibt Menschen, die aufstehen, die Widerstand leisten, die etwas bewirken, z.T. Einzelne, z.T. in Gruppen Organisierte. manche leise, manche laut.

    Und damit will ich all dem Schrecklichen keine nachträgliche positive Note verleihen in dem Sinne, dass wir froh sein können, dass es geschieht, sonst würden wir ja nie klüger, uns nie bewegen. Nochmals nein!

    Mein Opa hat während des 2.Weltkriegs seine Arbeit als Standesbeamter verloren, weil er den Parteibeitritt verweigerte. Er hat zusammen mit Freunden die Flucht eines jüdischen Chorleiters und dessen Familie organisiert.und während des gesamten letzten Kriegsjahrs ein jüdisches Mädchen in seiner und seiner Familie Wohnung versteckt. Darüber gesprochen wurde in unserer Familie später nie, meine Mutter erzählte mir erst kurz vor ihrem Tod davon. Niemand hat sich dessen gerühmt, es wurde als selbstverständliche, dem Anstand und der Menschlichkeit geschuldete Haltung und Handlung angesehen.
    Ich selbst war lange bei der Friedensbewegung aktiv, bin Mitglied bei Amnesty International, unterstütze aktiv diverse Aktionen.
    Warum erzähle ich das? Um mich von einem Verdacht freizusprechen, den ich wirklich schrecklich finde. Von dem ich aber nachvollziehen kann, dass er aufkommt(-kam), da war ich blauäugig. Sie kennen mich ja nicht, wie sollen Sie mich also einschätzen können?

    Und ich fürchte, ich kann gerade nicht besser erklären, worum es mir ging. Nur zurücknehmen lässt es sich jetzt auch nicht mehr. Aber es geht auch nicht um mich.
    Die Pesrpektive, die ich in meinem ersten Kommentar einzunehmen versuchte, war die eines Blicks von außen auf die Welt als Gesamtheit, es ging mir in keiner Weise um einen Rechtfertigungsversuch menschengemachter Zerstörung.

      • Ich hatte mal auf einem Literaturseminar teilgenommen und da war ein sehr alter mann, der der meinung war, dass was in Jugoslawien passiere, diene nur der Reinigung der Erde.
        Wenn man Menschen dort kennt, stellt man sich diese Reinigung schon noch etwas grauseliger vor.
        Deshalb bin ich aufgeschreckt als du das schriebst. Aber jetzt ist alles wieder gut 🙂

  8. @Jan Kuhlbrodt: Das sehe ich auch so, mit der Verständigung als primärem Ziel.

    @Anonymus: Da bin ich froh! 🙂 (Und dieser Satz des alten Herrn ist wirklich unerträglich.)

  9. Wichtig! Wenn ich von „notwendig“ schreibe, dann heißt das n i c h t, daß etwas geschieht, weil es einen „Sinn“ hat, sondern, daß etwas geschieht, weil die Gründe – Ursachen dafür, daß es geschieht, größer sind als die Gründe – Ursachen – dafür, daß es nicht geschieht. Dahinter steht meines Erachtens kein „Zweck“, sondern die nackte Abfolge aufgrund von Ursache-Wirkung-Prozessen. Wäre dem anders, ließe sich sinnvoll, also mit einsehbaren Erkenntnissen, keine geschichtliche Forschung betreiben, ja, überhaupt keine Forschung wäre möglich. Aus diesem Grund sind Formulierungen wie die des alten Literaturlehrers, etwas diene zu, ihrerseits theologischer Unfug. Was geschieht, „dient“ nicht, sondern geschieht; daß es „diene“, unterstellt einen Sinn, hinter dem bewußte Absicht stecke.

    Weiters zur „Verantwortung“, die „wir“ hätten. Auch dies ist eine Setzung, und zwar der Moral, eine ausgesprochene Normation, die sich moralphilosophisch ebenfalls nur aus religiösen Setzungen (Geboten) herleiten läßt. Es ist ein moralisches Verlangen, allenfalls – dann wäre es gesellschaftsbildend, um das Wort in Kants Sinn zu verwenden: praktisch – normative Übereinkunft. Man muß sich nur klar darüber sein, daß seine Begründung ein allein regulatives Prinzip ist; genau in diesem Sinn hat Kant das höchste Wesen, Gott, für notwendig erklärt – notwendig als Bedingung der Möglichkeit von Moral, nicht notwendig als ein tatsächlich Gegebenes, bzw. Existentes. Also: Wenn etwas allgemein moralisch gültig sein soll – „allgemein“ bedeutet: für alle Menschen jeglichen Kulturraums -, dann komme man um die Proklamation Gottes nicht herum.

    • Einen absoluten Sinn zu retten ohne Gott ist eitel. Das schreibt Horkheimer irgendwo, und Habermas zitierte es in einer Festschrift für Alfred Schmidt.
      Gott als regulative Idee bei Kant. Alles Einzusehen. Dennoch denke ich immer wieder darüber nach, ob es auch ohne Gott universell gültige Regeln geben Könnte. Zumindest dahingehend gültig, dass die Individuen aufgrund ihrer Vernunft/Logik (was auch immer) akzeptieren könnten und in ihrem Interesse müssten. Das setzte natürlich soetwas wie ein universelles Interesse voraus. Vielleicht en Gattungsinteresse. (hier begeben sich meine Gedanken natürlich auf schweres Gelände)

      • Gut nachvollziehbar. An der Letztbegründungsproblematik einer allgemeinen Moral sitzen die Neu-Kantianer, seit es sie gibt. Beeindruckend, für mich, immer wieder war Karl-Otto Apel, bei dem ich selbst noch hören durfte: mit die intensivsten Vorlesungen – intensiv gerade auch im leidenschaftlichen Verstand -, an die ich mich überhaupt erinnern kann. Sie haben mich extrem geprägt, und ich wußte das schon im Moment, da ich zuhörte, spürte den Prägegriffel geradezu: ich meine die Klinge.
        Daß das Thema mit der Globalisierung an geradezu ungeheurer Brisanz gewonnen hat, spüren wir unterdessen in unserer Realität fast alltäglich bis in unsere tatsächlichen (banalen) Alltäglichkeiten. Glaubenskriege und -kämpfe werden genau hierum geführt. Wenn, moralisch gesehen, selbst solche Geschwisterreligionen wie die monotheistischen auf keine gemeinsame Erklärung kommen, wie soll das bei viel fremderen Glaubensüberzeugungen gelingen? Die Anrufung der Vernunft ist ja ihrerseits westliches Erbe, nämlich der Aufklärung, die zur Kulturgeschichte anderer Völker gar nicht gehört, von der aber wir erwarten, daß sie es übernehmen. Schon hier liegt ein furchtbares Problem. (Vielleicht – grad kommt mir dieser an die vorherigen Tage anschließender Gedanke – daß die Erzählung statt der rationalen Deduktion ein Weg der Verständigung wäre, also wiederum der (ein) – Mythos.)

      • hier liegt auch der grundgedanke zu diesem projekt.zumindest für mich.
        und in der schönheit, die in den mythischen erzählungen liegt.

  10. wir vergessen immer, dass der mythos zu seiner zeit das radio, die zeitung, das internet und das kino der menschen war. ihm eignete zu seiner zeit genau so viel profanität und tiefsinn, schönheit oder schwachsinn wie unseren heutigen medien.
    das meint, der mythos war zu seiner zeit nicht mythisch und er wurde auch nicht zum zwecke der schönheit geschaffen, sondern zum zwecke der überlieferung von erfahrung. mythen sind nicht schön.
    es macht wohl nicht viel sinn, heute von einer schöpfung in kunst- oder literatur-kategorien zu sprechen, wenn der handelnde, das kann auch ein künstler sein, kein wozu riskiert. die schöpferische kunst spricht uns groß an, weil sie ein wozu riskiert. das wozu kann genannt werden gott. das wozu kann auch genannt werden aufklärung, oder man nennt es erkenntnis. oder man nennt es ein hineinfragen in die farbe oder in die landschaft, zum beispiel bei einem maler. das wozu kann auch das woher einer gründungsgeschichte erfragen wie die ilias, das wozu kann auch atheismus heißen, wenn das wozu in einen nichtbegötterten ort hineinfragt. in jedem fall aber läuft jede schöpferische kunst in der spur eines wozu. dieses wozu ist das eigentliche risiko jeder kunst und jeder handlung überhaupt, die schöpferisch genannt werden kann. erst in dem risiko des wozu wird eine handlung, eine kunst auch schön. das risiko des wozu in der schöpferischen kunst ist nicht zu verwechseln mit dem risiko des handelnden oder dem allgemeinen risiko des lebens oder dem allgemeinen risiko des auf der welt seins. ohne ein risiko des wozu wird kunst oder eine handlung zeugungsunfähig oder schöpfungsunfähig, das heißt: sie ist keine handlung, die menschlich genannt werden kann. sie kann in diesem fall noch nicht einmal unmenschlich genannt werden. alles schöpferische folgt dem risiko eines wozu, in dem der schöpfer aufgeht, das heißt, sich verbirgt.

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